"Wir können alles, außer Farben!" möchten wir in Abwandlung des alten baden-württembergischen Länder-Slogans rufen. Natürlich können wir nicht alles und jeder in der Nothilfe hat so seine Spezialgebiete rund um die Ratte. Was Monique und mich allerdings beide in keins-ter-wei-se interessiert, ist die korrekte Bezeichnung von Farben und Zeichnungen bei Ratten.
Da wir das als Haltungsanfänger vor 15, 20 oder mehr Jahren unvollständig Gelernte nicht weiterverfolgt haben, sind unsere dahingehuschten Beschreibungen vor dem Hintergrund der aktuell existierenden Vielfalt nicht mehr wirklich up-to-date. So entging es uns völlig, dass man bei "hoodeds" mit "unperfekter" Zeichnung von "varihooded" spricht...oder sprechen kann. Bei den 50Millionen Shades of Brauntönen und ihren englischen Bezeichnungen ("Dove", "Buff") steigen wir vollends aus und schreiben auch gerne braun oder beige. Apropos "Shades" - davon wollen wir gar nicht erst anfangen... .
Da unsere Farb- und Zeichnungslegasthenie gleichermaßen ausgeprägt und quasi auf dem gleichen Stand ist, weiß dennoch jeder von uns sofort und unmissverständlich, was und wer gemeint ist. Wir und unsere Aufnahmelisten kommen damit prima zurecht.
Unsere lieben Aufnehmer haben sich bisher auch noch nie beklagt.
Es kommen allerdings immer mal wieder sehr deutliche Hinweise vor, dass diese und jene Zeichnung von uns nicht korrekt definiert wurde und man Shade X nicht mit Zeichnung X in einen Topf zu werfen habe, weil...äh....die Konsequenz für die Ratte habe ich gerade leider vergessen^^
Wir haben uns schon überlegt, ob wir auf unserer Homepage einen Disclaimer setzen:
Achtung! Farb- und Zeichnungsbezeichnungen können vom Original abweichen!
Dieses ganze Farb- und Zeichnungs-Geschwurbel empfinde ich persönlich als lächerlich und ja, es ärgert mich auch mittlerweile. Die Zucht der ganzen Farb- und Formenvarianten ist für mich Ausdruck für die Ware Tier, die für den Züchter und Käufer möglichst ausgefallen und schick aussehen soll. Wenn wir Tiere aber nicht als Ware ansehen wollen, sollten wir aufhören, sie nach Belieben für unsere Geschmacksvorstellungen zu verändern.
Natürlich macht mir die Gesellschaft von Ratten Spaß. Es sind aber keine Wildtiere und als Haustiere leider vollends von uns abhängig. Wir müssen ihnen Raum geben, Zeit, Abwechslung und gesunde Ernährung. Das ist ein ständiger Kampf zwischen Anspruch und Wirklichkeit, bei dem man sich permanent sorgt, ob man den Tieren halbwegs gerecht wird. Man sieht, wie limitiert sie durch die Halter sind - Käfig auf, Futter rein, Käfig zu, Beschäftigung fehlt, Auslauf fällt aus, Tierarzt zu teuer...alles in unserem Takt und nach unserer "Bemessungsgrundlage".
Als Nothilfe steht es in unserer besonderen Verantwortung, immer und immer wieder für die Ansprüche unserer Schützlinge in den Überzeugungskampf zu treten, Lebensbedingungen zu verbessern. Viele Rattenhalter melden sich schon gar nicht bei uns, weil sie schon von vornherein wissen, dass sie unsere Mindesthaltungsstandards nicht einhalten können/wollen. "Mindesthaltungsstandards" - ein schreckliches Wort für ein Leben am unteren Limit.
Es ist so, die Tiere sind da - in den Tierheimen und den Nothilfen - und wir müssen uns bestmöglich um sie kümmern. Allerdings möchte ich keinesfalls, dass Haustiere für mich produziert werden, nur damit ich einen Zeitvertreib habe. Etwas zum "Verkuscheln". Einen besten Freund. Wie verrückt ist das denn bitte alles?
In einem Utopia, wo es keine Notfellchen mehr gibt, würde ich keine Haustiere mehr halten. Auch die sog. "seriöse Zucht" ist für mich vor dem ganzen geschilderten Hintergrund - von der Farbenproduktion bis zum gekauften "besten Freund" - nicht vertretbar. Auch nicht in "Kleinstmengen".
Vielfach wird Rattenhilfen ja vorgeworfen, sie würden Zucht wegen des "Konkurrenzgedankens" ablehnen um im gleichen Atemzug davon zu schwadronieren, wie schön Nothilfen und Züchter doch zusammenarbeiten könnten. Nein, ich kann mit Leuten nicht zusammenarbeiten, für die Tiere ein schickes Accessoire sind, die es möglichst in vielen veränderlichen Farben und Formen zu produzieren gilt. Unsere Weltbilder sind da einfach zu verschieden.
Zucht ist in meinen Augen eine Unkultur und wohin sie unausweichlich führt, können wir an den Hunderassen sehen mit ihren Deformationen und/oder genetischen Erbkrankheiten. Auch bei Ratten wird genauso auf maximale Variation und Deformation gesetzt. Einfach aus einer Lust und Laune heraus und weil es das menschliche Auge erfreut (?!). Und wenn die Zucht fehlende und kaum funktionstüchtige Vibrissen hervorbringt, kann natürlich nur ein Züchter dies "korrigieren". Was ist das bitte für ein Selbstverständnis, ein in Jahrmillionen entwickeltes Tier genetisch durch Inzucht zu degenerieren und im genau gleichen Modus wieder "korrigieren" zu wollen? Züchter sprechen hier tatsächlich von "verbessern".
Natürlich bin ich mit dieser Einstellung nicht auf die Welt gekommen und ich bin damit aber auch nicht allein. Es gibt zunehmend Organisationen, die sich zwar um Haltungsberatung sowie um Aufnahme und Vermittlung von Haustieren kümmern, weil sie in den Tierheimen und Nothilfen nun mal da sind, deren Zucht aber konsequent ablehnen und dies auch deutlich kommunizieren. Gleichzeitig streiten sie für Haltungsstandards, die dem allgemeinen Konsens um einiges voraus sind (siehe "Burg Nagezahn e.V."oder "Glückliche Nager").
Und wie halten wir es nun mit dem Farben-Geschwurbel? Wir werden in unseren Vermittlungsbeiträgen weiterhin viel mit Fotos arbeiten und bei Gruppen, die nicht aufgeteilt werden, auf Farb- und Zeichnungsbeschreibungen völlig verzichten. Falls wir doch Auflistungen erstellen - denkt daran: die Angaben können vom Original abweichen ;)